Die Phantasie in der Malerei (German Edition) by Max Liebermann
Autor:Max Liebermann [Liebermann, Max]
Die sprache: de
Format: azw
veröffentlicht: 2011-04-27T16:00:00+00:00
Empfindung und Erfindung in der Malerei
Neulich meinte Wöfflin in einem kleinen Aufsatz über das Zeichnen, daß jeder, der einen Kopf gut zeichnen könnte, auch gut zu schreiben verstände. Ob das nicht zu viel behauptet ist, will ich als Maler nicht untersuchen, aber das glaube ich mit Recht behaupten zu dürfen, daß einer, der keinen Strich zeichnen kann, unfähig ist über Malerei zu schreiben. Was würden die Musiker sagen, wenn ein Maler, der nicht einmal die »Wacht am Rhein« oder »Heil dir im Siegerkranz« auf dem Klavier nachklimpern kann, sich herausnehmen würde über Musik zu ästhetisieren!
Das ästhetische Urteil über Malerei ist von Schriftstellern gemacht. Nie würde ein Maler, auch wenn er Lessings Geist hätte, das geistreiche und gerade deshalb so gefährliche Paradoxon vom Raffael ohne Hände erfunden haben. Oder gar aus dem Laokoon, der immer noch, und mit gutem Recht, die ästhetische Bibel der Gebildeten ist, das Diktum: »der Maler, der nach der Beschreibung eines Thomson eine schöne Landschaft darstellt, hat mehr getan, als der sie gerade von der Natur kopiert«. Der Schriftsteller versteht in der Gedankenmalerei die literarische Phantasie, und daher stellt er sie über die sinnliche Malerei, die er nicht versteht, und aus Unkenntnis ihrer Wesenheit nicht verstehen kann.
Malerei ist Nachahmung der Natur, der sie ihre Stoffe entlehnt, aber sie bleibt ohne die schöpferische Phantasie geistlose Kopie, und es ist daher ganz gleichgültig, ob der Maler einen Sonnenuntergang aus der Tiefe seines Gemüts oder nach einem Gedicht des Thomson oder nach der Natur malt. Mit andern Worten: nicht der Idealist steht – wie Lessing meint – höher als der Realist, sondern die Stärke der Phantasie macht den größeren Künstler.
Für den Maler liegt die Phantasie allein innerhalb der sinnlichen Anschauung der Natur: jedenfalls haben alle großen Maler von den Ägyptern, Griechen und Römern bis zu Rembrandt und Velasquez, Manet und Menzel sich innerhalb dieser Grenzen gehalten. Zwischen dem Kleckser, der einen Sonnenuntergang malt und einem Claude Lorrain oder Claude Monet ist nur ein Qualitätsunterschied. Die Größe des Talents eines Künstlers beruht auf der Größe seiner Naturanschauung und zwar auf der Größe der spezifisch malerischen Anschauung. Sonst hätte Goethe ein ebenso großer Maler wie Dichter sein müssen. Wie die zahllosen Blätter, die das Goethehaus aufbewahrt, beweisen, hat es ihm weder an Fleiß noch an handwerksmäßiger Geschicklichkeit gefehlt, und wenn er trotz heißem Bemühen zeitlebens in der bildenden Kunst ein mittelmäßiger Dilettant geblieben ist, so liegt der Grund einfach darin, daß seine Phantasie – als die eines geborenen Dichters – nur mit dem Worte zu gestalten imstande war.
Die Phantasie des Künstlers gestaltet nicht nur in dem Material, sondern für das Material seiner speziellen Kunst, sonst kommt gemalte Poesie oder poetische Malerei, d. h. Unsinn heraus. Daher ist auch nur aus dem Material heraus eine richtige Wertung der Kunst möglich: der Genuß an der Kunst steht jedem Empfänglichen offen, aber für die Kritik ist die Kenntnis des Materials und der Technik unerläßlich.
Einst fragte mich Virchow, während er mir zu seinem Porträt saß, ob ich nach einer vorgefaßten Meinung male, und auf meine Antwort,
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